Wege der Ganzwerdung

Was ist Esoterik?

Der Esoterik-Boom

Esoterik bzw. der Begriff Esoterik hat in den letzten 20 Jahren eine bemerkenswerte Aufmerksamkeit erhalten und dabei mehrere Phasen durchlaufen: Zuerst war es nur ein Insiderthema, das nur kleine Zirkel und Gruppen beschäftigte. Das Interesse und die Nachfrage wuchs jedoch ziemlich schnell, die ersten Gurus tauchten auf, die Beatles gingen nach Indien und meditierten und die ersten esoterischen Buchläden entstanden. Damals nach dem vielzitierten 68iger Aufbruch war es noch primär Fernöstliches, was eingehüllt im Duft von Räucherstäbchen daherkam. All das wurde nur belächelt und von den normalen Medien noch keineswegs ernst genommen. Es diente höchstens als Lückenfüller und wurde als kurzfristige Modeerscheinung abgetan. Nach zehn Jahren wurde aus dem Trend ein Boom, der allen Unkenrufen zum Trotz sich fest und reichlich in Form von zahllosen esoterischen Zeitungen, Buchläden in jeder Stadt, eigenen Esoterikreihen in allen großen Verlagen und Tausenden von Anbietern und Veranstaltern ausdrückte. Ein Millionenmarkt, der nun zunehmend erst von der Regenbogenpresse und dann von fast allen Frauenzeitungen und auch im Fernsehen mit beachtlicher Regelmäßigkeit aufgegriffen wurde. Esoterik war in.
Dann kam ein Bruch.

Durch zunehmend kritischere Stimmen und dem immer häufigeren Zusammenhang und Mißbrauch esoterischer Methoden im Kontext sektenähnlicher Gruppierungen, die durch Selbstmordaktionen und ähnlichem für sehr negative Schlagzeilen sorgten, wurde Esoterik langsam zum Unwort. Vor allem Frauenzeitungen begannen sich wegen der negativen Schlagzeilen von allem was nach Esoterik roch zu distanzieren. Die Buchläden bestehen jedoch weiter und zeigen ungebremsten Zulauf, alle großen Buchhandlungen haben mittlerweile eine eigene Esoterikabteilung und man schaut sich nach neuen Namen um. Esoteriker, das heißt Menschen, die sich mit dem Sinn des Lebens auf die eine oder andere Art befassen, gibt es mittlerweile überall. Nicht alle hängen es sich als Schild um, aber die Thematik ist Teil des Zeitgeistes und der Gesellschaft geworden, ob man es nun merkt oder nicht. Über die durchaus skurilen Blüten, die es innerhalb der Esoterikszene gibt, sollte durchaus mehr berichtet werden, sie sind auch den ernsten Esoterikern ein Dorn im Auge, den sie entweder verdränge oder belächeln. Im Grunde sind sie Teil der ersten Schritte auf dem Weg, über die auch die Kenner irgendwann einmal gestolpert sind.
Wir leben in einer Zeit, in der der Mensch sich mehr und mehr von sich selbst entfremdet und seine Identität aus den von Mode und Trends vorgegebenen Äußerlichkeiten definiert. Diese Orientierung an den Werten und Vorlieben der Masse gibt Sicherheit und Anerkennung, läßt aber letztendlich das Individuum seelisch, zwischenmenschlich und kreativ verarmen.
Esoterik ist nichts Neues, im Gegenteil: Vieles von dem, was Sie hier und heute sehen, lesen und erfahren können, hat weit zurückreichende Wurzeln in alten Kulturen und Religionen. Unter dem Überbegriff Esoterik oder New Age (Neues Zeitalter) findet sich nun alles zusammen, was an einem neuen Denken, einem neuen Bewußtsein und an einem neuen Zeitalter mitgestalten möchte. Das Spektrum ist sehr breit und nicht jedem paßt die Zuordnung zum Esoterik oder New-Age-Begriff, weil er oft zu sensationsheischend oder abfällig von den Medien durch die Schlagzeilen gezogen wurde. Esoterik und New Age sind einfach praktische Überbegriffe, aber kein Eintopf religiöser Subkultur, als der sie oft dargestellt werden.

Was hat nun die Esoterik zu bieten?

Esoterik war ursprünglich eine Geheimwissenschaft. In fast allen Kulturen gab es kleine Gruppen von „Eingeweihten“, die um den Sinn des Lebens wußten, ihn bewahrten und an wirklich motivierte Sucher weitergaben; ob das nun Druiden, Schamanen, Magier, Hexen (im positiven Sinne), Geheimbünde oder Orden (z.B. Essener, Rosenkreuzer, Freimaurer) oder Religionsstifter (wie Buddha und Christus) waren. Sie „wußten“ mehr und lehrten es.
In allen großen Religionen gibt es deutlich unterscheidbare exoterische und esoterische Aspekte. Die Organisationsstruktur (z.B. Kirche), das etablierte Dogma und Ritual, ihre Vertreter (Priester) sowie die „offiziellen“ heiligen Schriften sind der exoterische Aspekt einer Religion. Sie beschreiben die religiösen Verhaltensregeln und den Glauben für die Masse, der von einem obersten, weltlich-geistlichen Vertreter wie etwa dem Papst repräsentiert wird. Beispiele für esoterische Bewegungen sind im Christentum die Gnostiker, im Islam die Sufis, im Hinduismus die Tantriker und im Judentum die Kabbalisten.
Das Gemeinsame aller spiritueller Bewegungen ist die Suche nach dem Sinn, dem Ursprung, dem Göttlichen und dem Ganzen.
Genau das möchte ich Ihnen hiermit ans Herz legen: Nach innen zu schauen und neue Wege des Denkens, Fühlens und Lebens zu versuchen. Das Risiko zu wagen, den Trampelpfad der Massen in die globale Katastrophe zu verlassen und Ihren ureigensten Weg der Selbstfindung und Selbstverwirklichung zu suchen und zu gehen und damit verantwortlich für sich selbst und Ihre direkte Umwelt zu werden. So läßt sich vielleicht das Ausmaß der Innenweltverschmutzung und damit auch der Umweltzerstörung verringern. Vieles von dem, was heutzutage im esoterischen Bereich angeboten wird, ist aus dieser Suche heraus gewachsen, hat Menschen und ihr Leben verändert, ihnen Sinn, Kraft und Hoffnung gegeben.
Allerdings gibt es auch in esoterischen Kreisen vielerlei Unkraut, Trittbrettfahrer und Nutznießer. Hier sind die gleichen Mechanismen wie Macht, Geltungsbedürfnis und Kommerz wirksam wie in anderen gesellschaftlichen Kreisen (Wirtschaft, Politik, Kirche). Aber auch sogenannte Unkräuter oder giftige Pflanzen können im gewissen Rahmen und richtiger Dosierung nützlich und heilend sein. Die Spreu vom Weizen zu trennen, ist ein Teil des esoterischen Weges und eine Fähigkeit, die gelernt sein will. Sie reift in dem Maße, wie Sie Vertrauen in Ihre Intuition und Ihre inneren Stimme gewinnen.

Ein weiteres Ziel ist die Ablösung oder Ergänzung der einseitig materiell-wissenschaftlich orientierten Weltanschauung durch die Wiederentdeckung der ursprünglichen Einheit von Körper-Seele-Geist (holographisches Weltbild), bzw. Mensch-Kosmos-Gott.
Die zugrundeliegenden Prämissen sind:

  1. Der Vorrang des Geistes über die Materie. Dieser Geist ist ein göttlicher Geist und der Mensch ist ein irdischer Aspekt eines kosmischen, göttlichen Lebens.
  2. Der Vorrang des Individuums, d.h. nicht die gesellschaftlichen Zwänge formen das Bewußtsein, sondern ein individueller Bewußtseinswandel ist Voraussetzung gesellschaftlicher Transformation.

Der chinesische Weise Laotse drückte das zu seiner Zeit so aus: „Wollte der Kaiser sein Reich in Ordnung bringen, schaffte er erst Ordnung an seinem Hofe, zuvor jedoch in seiner Familie und davor bei sich selbst.“ Esoterik versucht daher, theoretisch, praktisch und experimentell den Menschen den „Delphischen Spiegel“ vorzuhalten, der sagt: „Erkenne dich selbst“ oder – wie es heute oft heißt – „Sei, der du bist“.

Esoterik und Meditation sind „in“.

Anerkannte Physiker und Wissenschaftler wie Fritjof Capra, Peter Russell, Francisco Varela, linke Politiker wie Rudolf Bahro, weltbekannte Künstlerinnen wie Shirley MacLaine, Penny McLean sind zu Sprechern einer Bewegung geworden, die sich mittlerweile nicht mehr als Mode oder Zeiterscheinung abhandeln läßt. Das haben auch die Medien, die Manager und der kommerzielle Markt gemerkt. Esoterik als Lebensphilosophie und als praktische Lebenshilfe halten Einzug in das weite Feld des „Neuen Denkens“.
Bahro proklamiert in seinem Buch „Logik der Rettung“ den Gottesstaat und die Regenbogengesellschaft, auch wenn „das New Age Feld mehrheitlich leider noch platt unpolitisch ist“, so wirkt es doch in seinem „sozialpolitischen Schema auf der dritten Ebene“. Nach seiner Meinung treten „die Menschen unserer Kultur jetzt massenhaft bewußt in diesen von Jung charakterisierten Individuationsprozeß“ ein.

Das Verbindende der spirituellen Szene scheint mir zu sein, daß sie auf optimistische, unkonventionelle und experimentelle Art nach neuen Wegen sucht, um durch individuelle Selbstverwirklichung und Entdeckung der Eigenverantwortlichkeit etwas am kollektiven Traum(a) zu verändern.
Buddha sprach bereits vor Tausenden von Jahren von der Illusion und Vergänglichkeit des Materiellen und lehrte die Bewußtwerdung subtiler gedanklicher und psychologischer Mechanismen durch Meditation. Das Gemeinsame ist auch das Infragestellen unserer „nach-dem-Tod-ist-alles-vorbei“-Ideologie und die prinzipielle Frage nach dem Sinn des Lebens hier auf der Erde.

Realitätsflucht, Macht und Geltungsbedürfnis, Konsum und Kommerzialisierung sind menschliche Schwächen und Eigenschaften, die überall wirksam sind, ob nun in der Sport- und Unterhaltungsindustrie, in der Mode, der Politik oder im Esoterik-Bereich. Der Mensch mißbraucht alles, ob nun den Mitmenschen, die Natur oder das Atom, aber warum er das tut und wie er es ändern kann, das sagt ihm kein Wissenschaftler und kein Priester, sondern nur der Psychologe oder der Esoteriker. Esoteriker sind im Idealfall beides in einem – und sie können ihm helfen, es zu ändern.

Alle ernsthaften esoterischen und spirituellen Gruppen wie auch die ganzheitlichen Therapien versuchen – so meine eigene Erfahrung – dem Menschen sich selbst begreifbar zu machen und ihm vom Grund auf zur Selbsterkenntnis zu verhelfen: die einen umsonst, die anderen für Tausende von Mark. Aber auch das ist ein interessantes menschliches Phänomen: Für viele schafft der Preis erst den Wert und nicht unbedingt die Qualität. Das Etikett zählt, ein berühmter Name; etwas kann nur gut sein, wenn es viel kostet. Davon profitieren auch in der Esoterik-Szene bestimmte Leute.
Wer manipuliert also wen: Das Angebot die Nachfrage oder die Nachfrage das Angebot? Wer ist verantwortlich? Derjenige, der den hohen Preis haben will oder der, der so teuer verkauft? Wer verführt wen? Letztendlich ist alles relativ. Die Perspektive und der Bezugsrahmen machen etwas gut oder schlecht. Die Ökofreaks der 70er Jahre sind die grünen Politiker und Unternehmer der 80er. Die „New-Age-Spinner“ der 80er Jahre sind vielleicht die geistigen Erneuerer der 90er. Jedenfalls ist es das, wofür sie sich einsetzen.

Quellen und Verweise

Leuenberger, Hans-Dieter: Das ist Esoterik, H. Bauer, 1985
Martin, Bruno: Handbuch der spirituellen Wege, RoRoRo TB, 1985
Farkas, V.: Esoterik – Eine verborgene Wirklichkeit, Umschau, 1990
Wichmann, Jörg: Die Renaissance der Esoterik, Kreuz Verlag, 1990
Binder, Franz: Erste Schritte auf dem spirituellen Weg, Bauer, 1988
Dethlefsen, Thorwald: Schicksal als Chance, Goldmann, 1987
Endres, Hans: Das spirituelle Menschenbild, Goldmann, 1988

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Luczyn David

Veröffentlicht von

David Luczyn ist doppelter Skorpion, Fotograf, Journalist und Lebenskünstler. Er war Redakteur verschiedener Zeitungen (zuletzt Einblick), schreibt für diverse Publikationen und ist Autor von "Magisch Reisen Deutschland" (Goldmann). Begründer und Webmaster von www.spirit-net.de und www.seelen-partner.de. Kontakt: www.stardust-archiv.de und www.spirit-net.de.

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