Wege der Ganzwerdung

Tai Chi Chuan

tai chi peking form 3

Die chinesische Kampfkunst Tai Chi Chuan, auch als Taijiquan oder chinesisches Schattenboxen bezeichnet, erfreut sich auch im Westen immer größerer Beliebtheit. Heute wird die oft kurz Tai Chi genannte Bewegungslehre vor allem als ganzheitliches Gesundheitssystem geschätzt.

Entstehung

Verschiedene Legenden und Theorien ranken sich um die Entstehung des Tai Chi Chuan. Offizielle Quellen gibt es kaum, da die ursprünglichen Formen des Tai Chi Chuan nur innerhalb einer Familie oder eines Klosters weitergegeben wurden.

Die älteste schriftliche Quelle, die über Übungen aus dem Tai Chi Chuan berichtet, ist das Buch Jixiao Xinshu. General Qi Jiguang beschreibt in seinem Werk aus dem 16. Jahrhundert einen Kampfstil, den er selbst entwickelt hatte. Er vereinte die seiner Ansicht nach besten Kampftechniken in einem Buch. Tai Chi Chuan wird darin nicht namentlich erwähnt, doch viele der beschriebenen Bewegungen werden heute noch im Chen-Stil durchgeführt.

Die wohl bekannteste Entstehungslegende besagt, dass der taoistische Einsiedler und Unsterbliche Zhang San Feng in den Wu Dang-Bergen den Kampf zwischen einem Kranich und einer Schlange beobachtete. Er war so beeindruckt von der Stärke des Weichen gegenüber dem vermeintlich stärkeren Harten, dass er eine Übungsfolge aus fließenden, weichen Bewegungen schuf. Zhang San Feng soll etwa im Zeitraum vom zehnten bis zum vierzehnten Jahrhundert gelebt haben, aber es ist nicht belegt, ob er überhaupt gelebt hat.

Stile

Im Laufe der weiteren Entwicklung des Tai Chi Chuan haben sich verschiedene herausgebildet, die traditioneller Weise nach Familien benannt werden. Der Chen-Stil wurde von General Chen Wangting (1600-1680) entwickelt und in seinem Heimatdorf Chenjiagou weitergegeben. Es handelt sich um einen sehr dynamischen und weit verbreiteten Stil.

Der erste Außenstehende, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die Geheimnisse des Chen-Stils eingeweiht wurde, war Yang Luchan. Er begründete später seinen eigenen Stil, den sehr weichen, fließenden Yang-Stil. Der Yang-Stil ist heute der wohl weltweit populärste Tai Chi Chuan-Stil.

Ein weiterer Schüler der Chen-Familie, der nicht selbst aus der Familie stammte, war Wu Yuxiang. Er entwickelte den Wu/Hao-Stil, der viele kleine Bewegungen und Balanceübungen beinhaltet.

Wu Quanyou, ein Schüler Yang Luchans, entwickelte den Wu-Stil, der eine leicht nach vorn gelehnte Körperhaltung bevorzugt.

Der fünfte Familienstil ist der Sun-Stil von Sun Lutang, der Tai Chi Chuan mit Anteilen der inneren Kampfkünste Xingyiquan und Baguazhang anreichert.

Formen

Jeder Stil kennt verschiedenen Formen, das sind festgelegte Reihenfolgen von Bewegungen. Ein Anfänger beginnt mit einer Handform. Traditionelle Handformen sind recht lang, sie haben oft über 100 Bewegungen und ein Durchlauf dauert ca 30 min. In den letzten Jahrzehnten sind kürzere Formen für den Einstieg entwickelt worden. Bekannt sind hier vor allem die 10er-Forum (auch „Hotelform“ genannt, da sie sich gut eignet wenn wenig Platz zur Verfügung steht) und die 24er-Form („Peking-Form“).

Waffenform

Wenn ein Tai Chi Chuan-Schüler eine gewisse Fertigkeit der Handform erreicht hat, darf er sich einer Waffenform zuwenden. Tai Chi Chuan-Waffen sind unter anderem Schwert, Stock, Speer, Säbel und Fächer. Sie erfordert eine gute Beherrschung des Chi, da dieses auf einen Gegenstand die Waffe übertragen wird. Das Führen einer Waffe wird mit dem eines Pinsels verglichen: Es erfordert ruhige, fließende und exakte Bewegungen. Es gibt kürzere und längerer Formen für jede Waffe.

Partnerformen

In den Partnerformen wird die Kampfebene des Tai Chi Chuan deutlich. Zwei Übende führen die genau festgelegten Kampfszenen zu zweit durch. Um sich dabei nicht gegenseitig zu verletzen, erfordert es sehr exakte Bewegungen. Die Partnerform wird daher meistens nur von Fortgeschrittenen geübt.

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Zum Video: Fünf Formen von Push Hands aus dem Chen Tai Chi Chuan Stil  push hands, vorgeführt von Wu Ying Feng (rot) und Chen Xi Li (weiß).

Neuere Entwicklung

1956 beauftragte die Regierung der Volksrepublik China mehrere Tai Chi Meister, eine leichter erlernbare Tai Chi Form zu entwickeln. Die daraus resultierende Pekingform beruht auf dem Yang-Stil und besteht aus einer Abfolge von 24 Figuren. Daher wird sie auch 24-Bilder-Form genannt. Während die Pekingform zum offiziellen Stil wurde, mit dem das Tai Chi Chuan in der Bevölkerung zu deren Gesunderhaltung verbreitet wurde, waren in der VR China traditionelle Stile nur noch im Privaten geduldet. Mittlerweile sind aber auch diese wieder anerkannt und werden gefördert.

Aus der Pekingform und Einflüssen anderer Stile entwickelten sich 1976 und 1989 neue Abfolgen aus 48 beziehungsweise 42 Figuren. Ein weiterer Wettkampfstil mit 40 Bildern aus der Yang-Form wurde im selben Jahr verbreitet. Die neuesten Bewegungsfolgen im selben Stil enthalten zehn beziehungsweise 16 Bilder und wurden 1999 vorgestellt.

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Zum Video: 24er Peking Form, vorgeführt von Marie Hock-Westhoff, Weltmeisterin (2007 in Griechenland, WPKA World Championship in Griechenland) und Goldmedaillen-Gewinnerin bei „The 10th Hong Kong Wushu International Championship“ (2012) beides mit der Peking-Form, und eine Schüler-Gruppe.

In den 1960er Jahren wurde Tai Chi Chuan auch im Westen verbreitet. Besonderer Beliebtheit erfreute sich die 37-Bilder-Form von Zheng Manqing, einem bekannten Meister des Yang-Stils, der nach New York auswanderte und dort zu lehren begann. Seit den 80-ziger Jahren kommen auch viele Tai Chi Meister aus der VR China in den Westen, um dort zu unterrichten, und viele Westler fuhren dorthin, um an der Quelle zu lernen. Heutzutage werden unzählige verschiedene Stile unterrichtet.

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Zum Video: Dies ist „Wudang Zhang San-feng Tai Chi Chuan“ mit 13 Bildern vorgeführt von Meister Chen Shi-Yu von der Wudang Taoist Martial Arts School. Es wird angenommen, dass die Zhang San-feng die früheste Tai Chi Form bilden, die nach seinem Schöpfer (Zhang San-feng) benannt ist.

Ausbildung und Verbände

Ursprünglich wurde ein bestimmter Tai Chi Chuan-Stil nur innerhalb der Familie weitergegeben. Die Lehrer-Schüler-Beziehung war dabei oft sehr vertrauensvoll und konnte ein Leben lang halten. Mit der Verbreitung des Tai Chi Chuan änderte sich diese private Ausbildung. Mittlerweile ist der Unterricht in Kleingruppen die Regel, doch auch Privat- und Einzelunterricht sind möglich.

In Deutschland gibt es mittlerweile auch viele Schulen, die eine Ausbildung zum Tai Chi Chuan-Lehrer anbieten. Da es sich beim Beruf des Tai Chi Chuan-Lehrers um keine geschützte Bezeichnung handelt, können Dauer und Inhalte der Kurse sehr unterschiedlich sein.

Der im Jahr 2003 gegründete Deutsche Dachverband für Qigong und Taijiquan V.,  (DDQT) ist ein Zusammenschluss von führenden Verbänden und Ausbildungsinstituten. Bei seinen Mitglieder, zu denen auch das Taijiquan & Qigong Netzwerk e.V. gehört, der älteste stilunabhängige Tai Chi Verband in Deutschland, kann man Ausbildungen machen, die auch von Krankenkassen anerkannt werden.

Anwendungsmöglichkeiten

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Die traditionelle chinesische Medizin nutzt seit jeher körperliche Übungen, um das Chi anzuregen und seinen freien Fluss im Körper zu unterstützen. Sie werden vor allem durchgeführt, um Körper und Geist gesund zu halten, weniger, um bestimmte Krankheiten zu heilen.

Beim Tai Chi Chuan handelt es sich nicht nur um rein körperliche Übungen, sondern um ganzheitliche, meditative Bewegungsabfolgen, die auch den Geist beruhigen, klären und fokussieren. Zu den positiven Auswirkungen von Meditationen gehören Stressreduktion, eine verbesserte Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, mehr Energie, besserer Schlaf und ein allgemein verbessertes körperliches und geistiges Wohlbefinden.

Wissenschaftliche Studien belegen außerdem, dass eine regelmäßige Praxis von Tai Chi Chuan-Übungen sich positiv auf das Immun- und das Herzkreislaufsystem, den Gleichgewichtssinn und das Schmerzempfinden auswirkt. Ebenso konnten Verbesserungen des Körpergefühls, der Kraft und der Beweglichkeit nachgewiesen werden.

Kampftechnik

Heutzutage stehen vor allem die gesundheitlichen Aspekte des Tai Chi Chuan im Vordergrund. Doch ursprünglich handelt es sich um eine sogenannte innere Kampftechnik, die auf bewaffnete und unbewaffnete Auseinandersetzungen vorbereiten soll. Vor allem der Selbstverteidigungsaspekt wird dabei in den Fokus gerückt. Nach den Einzelübungen und Handformen dienen Partnerübungen und Waffenformen dem Erlangen der nötigen kämpferischen Fähigkeiten. Bis die Tai Chi Chuan-Übungen aber aus einem Schüler einen Kämpfer machen, braucht es unzählige Übungsstunden.

Dem Tai Chi Chuan-Lehrer Bruce Kumar Frantzis zufolge braucht es täglich eine bis sechs Stunden Übungszeit, um Erfolge im kämpferischen Bereich erzielen zu können. Um die positiven gesundheitlichen Effekte zu verspüren, reichen 15 bis 60 Minuten tägliche Übungen aus. Vielleicht ist auch dies ein Grund, warum sich Tai Chi Chuan vor allem als Gesundheitssystem einen Namen gemacht hat.

Buchtipps

Hinweise und Danksagungen

  • Vielen Dank an Helmut Oberlack, Herausgeber des Taijuquan & Qigong Journals, der diesen ursprünglich von unserer Redaktion erstellten Text am 17.01.2013 in eine neue, überarbeitete Version brachte.
  • Vielen Dank an Tilo Wieczorek für das Artikelbild vom Welt Tai Chi Tag in Aschaffenburg
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